ALBRECHT DÜRER (1471 - Nürnberg - 1528) – Der heilige Antonius vor der Stadt (The Abduction of Proserpine)
Ganz hervorragender, kräftiger, überaus klar und scharf druckender Lebzeitenabzug, rechts zwischen der Randlinie und der letzten schattierten Architektur mit der vertikalen Linie als Spur des geplanten Gebäudes. Mit feinen vertikalen Wischspuren im Himmel und noch vor den langen tiefen Kratzern links vom Kreuz. Überwiegend auf die Einfassungslinie geschnitten, stellenweise mit einem feinen Rändchen. Das Blatt entstand zusammen mit sechs kleinformatigen Stichen vor Dürers Reise in die Niederlande. Dargestellt ist nicht die populäre Versuchung des hl. Antonius in der Wüste, sondern, außerhalb der Bildüberlieferung des Spätmittelalters, der Einsiedler Antonius, kauernd am Wegrand vor der Stadt und konzentriert in einem Buch lesend. Er ist Sinnbild der Vita contemplativa. Das Doppelkreuz mit dem kleinen Glöckchen, wie es die Aussätzigen zur Warnung trugen, ist sein einziges Attribut und deutet auf das wohltätige Wirken in den Siechkoben der Stadt hin. Dem Greifen nah und deutlich wie ein Architekturmodell bildet die befestigte Stadt am Hügel den zweiten Hauptakzent des Blattes. Das von der Burg übertragene Stadtbild ist aus Nürnberger, Trientiner und Innsbrucker Motiven kombiniert und geht auf heute verlorene Zeichnungen der ersten Italienreise Dürers zurück. Das schlanke Kreuz überragt die Stadtlandschaft und vermittelt zwischen Vorder- und Hintergrund. Es steht für das Wirken des heiligen Antonius über deren Grenzen hinaus. Bis auf Nase und Bart, Hände und Füße verschwindet Antonius völlig im Mönchshabit. Die kompakte, als geometrische Figur begriffene Gestalt des Heiligen vermittelt ebenso wie die Darstellung des 'Hieronymus im Gehäuse' einen Ausdruck völligen Insichgekehrtseins und tiefer innerer Sammlung. Wie jener wird Antonius im Einklang mit seiner Umgebung geschildert. Die verschachtelte Stadtlandschaft auf dem Hügel baut sich hinter dem Heiligen als 'Echo und Vergrößerung' seiner Gestalt auf. Die Formenvielfalt der Kuben steht in harmonischer Analogie zur ruhigen und geschlossenen Stoffhülle des Habits. Gerade diese Verschränkung von Bildraum und Bildaussage sowie von Form und Inhalt zielte auf den Geschmack der Humanisten ab und machte das Heiligenbild auch für die Gebildeten interessant.“ (Anna Scherbaum, in: Schoch/Mende/Scherbaum, Bd. I, S. 214f.) Nach Mende diente das Blatt möglicherweise als Neujahrsgruß, verbunden mit Wünschen für ein langes Leben. – Ein winziges, kaum wahrnehmbares geschlossenes Löchlein an einer Turmspitze der Stadtkulisse. Papier verso in der unteren rechten Ecke durch ehemalige Montierung etwas angeraut. In sehr guter Erhaltung.
Selten so schön!
Bartsch 58; Meder 51 a (von d); Schoch/Mende/Scherbaum 87 a (von d).