Louis Soutter. Retrospective, Cantonal Museum of Fine Arts, Lausanne, March 2-May 28, 1961, cat. no. 248 (reverse)
Gallerie Vallotton, Lausanne (with the hand-written note: "Coll. Valloton N° 15", until at least 1961). Heinz Teusch, Essen. Galerie Haas, Berlin. Private collection, South Germany (acquired form the above around 2005)
Geheimnisvoll, schmerzerfüllt, verstörend, kraftvoll und immer wieder faszinierend ist Soutters psychogrammatische Bildwelt, die er in den schwarz-weißen Fingermalereien seiner letzen Schaffensphase vor uns ausbreitet. Sie scheinen Soutters verletzliches Innerstes nach außen zu kehren, seine Ängste und Fantasien geradezu rauschhaft niedergeschrieben vor uns auszubreiten. Dieser tiefe, intime malerische Seeleneinblick verstört und fesselt gleichermaßen. Laut Michel Thévoz lässt sich die Phase der großformatigen Fingermalerein auf die Jahre 1937 bis 1942, Soutters Todesjahr, eingrenzen. Davor entstehen in der Einsamkeit seines Zimmers der schweizerischen Heimanstalt Ballaigues zunächst Bleistift- und Tuschfederzeichnungen in feiner Lineatur und in floral-ornamentalem, anschließend in manieristischem Stil, mit denen er Schulhefte über und über anfüllt. Soutters Großcousin, der berühmte Architekt Le Corbusier, hat ihn 1927 erstmals in Ballaigues besucht und sich in den Folgejahren intensiv für die Anerkennung seines einzigartigen Schaffens eingesetzt. Le Corbusier ist es auch zu verdanken, dass Soutters Arbeiten bereits zu Lebzeiten in Amerika ausgestellt werden, und er verschafft seinem Cousin fortan Zugang zu geeignetem Zeichenmaterial. Soutters Œuvre, das sich nach seinem Tod 1942 nahezu geschlossen in seinem kleinen Heimzimmer auftürmt, welches für die letzten 19 Jahre seine ganze Welt war, zeigt nicht nur eine stilistisch progressives Schaffen, sondern dokumentiert darüber hinaus einen technisch ebenso bedeutenden Schritt: Mit den ab 1937 entstehenden Fingermalereien, zu denen auch die vorliegende, doppelseitige Komposition "Les peintres et le mur blanc" gehört, nimmt Soutter eine progressive Errungenschaft der späteren Aktionskunst vorweg und verleiht seinen Arbeiten damit eine einzigartig unmittelbare Aura. Diese fesselnden Zeichnungen dokumentieren eindrucksvoll Soutters Flucht in eine künstlerische Parallelwelt. Seine revolutionären, alle Traditionen verneinenden Werke werden heute der frühen Art brut zugerechnet und sind international begehrt. Davor gerät sein Schaffen lange Zeit in Vergessenheit, bis es im Zuge der großen Einzelausstellungen im Lenbachhaus München und im Kunstmuseum Bonn (1985), und anschließend in der großen Soutter-Schau im Kunstmuseum Basel (2002) von der Kunstgeschichte wiederentdeckt und als außergewöhnlich unkonventionell und revolutionär gefeiert wird. Wie revolutionär und verstörend müssen Soutters schwarze Schattenfiguren seiner letzten Schaffensphase auf die zeitgenössischen Betrachter gewirkt haben, für die das Schaffen Pencks, Dubuffets oder gar Basquiats noch in unbekannter Ferne lagen? Nie als geisteskrank diagnostiziert, erscheint uns Soutter heute vielmehr als ein geradezu tragisch verkanntes Genie. Er ist aufgrund seines häufigen Widerspruchs wegen schlechten Betragens aus dem Symphonieorchester geflogen, oder hat zwanzig Seidenkrawatten bestellt und die Rechnung dafür seinem Bruder geschickt. Amüsante Anekdoten, wie sie auch von späteren, die Gesellschaft mit ihrer Person und Kunst herausfordernden Künstlern wie Martin Kippenberger, Jonathan Meese oder Andy Warhol überliefert sein könnten. Soutters tragische Lebensgeschichte ist letztlich auch gleichermaßen die Geschichte des Scheiterns der bürgerlichen Gesellschaft an einer nicht zu klassifizierenden Künstlerpersönlichkeit, an einem unkonventionellen und visionären Geist, der letztlich sich und seine Kunst jedem Anpassungswillen entzogen hat. Aber trotz aller Tragik hat es gerade all dieser schmerzlichen Erfahrungen des Scheiterns und des Ausgeschlossenseins bedurft, um solch ein dichtes, "vom Geist des Schmerzes durchdrungenes" Werk entstehen zu lassen. [JS]
Condition report on request katalogisierung@kettererkunst.de
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Louis Soutter. Retrospective, Cantonal Museum of Fine Arts, Lausanne, March 2-May 28, 1961, cat. no. 248 (reverse)
Gallerie Vallotton, Lausanne (with the hand-written note: "Coll. Valloton N° 15", until at least 1961). Heinz Teusch, Essen. Galerie Haas, Berlin. Private collection, South Germany (acquired form the above around 2005)
Geheimnisvoll, schmerzerfüllt, verstörend, kraftvoll und immer wieder faszinierend ist Soutters psychogrammatische Bildwelt, die er in den schwarz-weißen Fingermalereien seiner letzen Schaffensphase vor uns ausbreitet. Sie scheinen Soutters verletzliches Innerstes nach außen zu kehren, seine Ängste und Fantasien geradezu rauschhaft niedergeschrieben vor uns auszubreiten. Dieser tiefe, intime malerische Seeleneinblick verstört und fesselt gleichermaßen. Laut Michel Thévoz lässt sich die Phase der großformatigen Fingermalerein auf die Jahre 1937 bis 1942, Soutters Todesjahr, eingrenzen. Davor entstehen in der Einsamkeit seines Zimmers der schweizerischen Heimanstalt Ballaigues zunächst Bleistift- und Tuschfederzeichnungen in feiner Lineatur und in floral-ornamentalem, anschließend in manieristischem Stil, mit denen er Schulhefte über und über anfüllt. Soutters Großcousin, der berühmte Architekt Le Corbusier, hat ihn 1927 erstmals in Ballaigues besucht und sich in den Folgejahren intensiv für die Anerkennung seines einzigartigen Schaffens eingesetzt. Le Corbusier ist es auch zu verdanken, dass Soutters Arbeiten bereits zu Lebzeiten in Amerika ausgestellt werden, und er verschafft seinem Cousin fortan Zugang zu geeignetem Zeichenmaterial. Soutters Œuvre, das sich nach seinem Tod 1942 nahezu geschlossen in seinem kleinen Heimzimmer auftürmt, welches für die letzten 19 Jahre seine ganze Welt war, zeigt nicht nur eine stilistisch progressives Schaffen, sondern dokumentiert darüber hinaus einen technisch ebenso bedeutenden Schritt: Mit den ab 1937 entstehenden Fingermalereien, zu denen auch die vorliegende, doppelseitige Komposition "Les peintres et le mur blanc" gehört, nimmt Soutter eine progressive Errungenschaft der späteren Aktionskunst vorweg und verleiht seinen Arbeiten damit eine einzigartig unmittelbare Aura. Diese fesselnden Zeichnungen dokumentieren eindrucksvoll Soutters Flucht in eine künstlerische Parallelwelt. Seine revolutionären, alle Traditionen verneinenden Werke werden heute der frühen Art brut zugerechnet und sind international begehrt. Davor gerät sein Schaffen lange Zeit in Vergessenheit, bis es im Zuge der großen Einzelausstellungen im Lenbachhaus München und im Kunstmuseum Bonn (1985), und anschließend in der großen Soutter-Schau im Kunstmuseum Basel (2002) von der Kunstgeschichte wiederentdeckt und als außergewöhnlich unkonventionell und revolutionär gefeiert wird. Wie revolutionär und verstörend müssen Soutters schwarze Schattenfiguren seiner letzten Schaffensphase auf die zeitgenössischen Betrachter gewirkt haben, für die das Schaffen Pencks, Dubuffets oder gar Basquiats noch in unbekannter Ferne lagen? Nie als geisteskrank diagnostiziert, erscheint uns Soutter heute vielmehr als ein geradezu tragisch verkanntes Genie. Er ist aufgrund seines häufigen Widerspruchs wegen schlechten Betragens aus dem Symphonieorchester geflogen, oder hat zwanzig Seidenkrawatten bestellt und die Rechnung dafür seinem Bruder geschickt. Amüsante Anekdoten, wie sie auch von späteren, die Gesellschaft mit ihrer Person und Kunst herausfordernden Künstlern wie Martin Kippenberger, Jonathan Meese oder Andy Warhol überliefert sein könnten. Soutters tragische Lebensgeschichte ist letztlich auch gleichermaßen die Geschichte des Scheiterns der bürgerlichen Gesellschaft an einer nicht zu klassifizierenden Künstlerpersönlichkeit, an einem unkonventionellen und visionären Geist, der letztlich sich und seine Kunst jedem Anpassungswillen entzogen hat. Aber trotz aller Tragik hat es gerade all dieser schmerzlichen Erfahrungen des Scheiterns und des Ausgeschlossenseins bedurft, um solch ein dichtes, "vom Geist des Schmerzes durchdrungenes" Werk entstehen zu lassen. [JS]
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